Nasrin Parsa, seit 1985 in Deutschland lebende Publizistin, über die iranische Opposition
Frau Parsa, war Ihre Reise nach Iran, in das Land Ihrer Geburt, ausschließlich durch Ihre journalistische Neugier motiviert?
Die westlichen Länder haben die »Grüne Welle« (so nennt Parsa die häufig in ihre Symbolfarbe gekleideten Demonstranten gegen die Regierung – d.R.) massiv unterstützt; so stark, dass ich mich fragte: »Wer sind die?« Tatsächlich wurden im Westen, darunter in
Deutschland, wie ich feststellen konnte, vor Demonstrationen der Opposition unheimlich viele Plakate mit Slogans des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi verteilt, die großenteils im Ausland gedruckt worden waren. Und ich denke, der Druck ist nicht billig gewesen.
Wie »grün« also ist das Land?
Ich hatte vorher die CNN-Bilder von Demonstrationen gesehen und dann mit Freunden und Verwandten in Iran telefoniert und muss sagen: Viele Familien sind gespalten, und in den Medien hierzulande bekommt man immer nur die eine Seite, die oppositionelle, zu sehen. Es gibt aber auch Demonstrationen der anderen Seite. Bei einigen Kundgebungen in Teheran war ich dabei und fühlte mich an die Zeiten der Blockkonfrontation erinnert. Die eine Seite skandierte: »Tod Russland! Tod China!« Die andere antwortete: »Tod Amerika! Tod Israel!« Auch »Tod Palästina«, weil den Leuten erzählt wird, es sei die iranische Unterstützung für palästinensische Widerstandsgruppen, die die Iraner in die Armut stürzt. Erst danach kamen der Ruf nach Freiheit und die Forderungen der sozialen Bewegungen. Es gibt wahrlich genug Gründe für die Leute aufzustehen. Aber ich habe gesehen, dass die »ausländischen Interessen« auf »unseren Demonstrationen« dominierten.
Wie erklären Sie sich die Proteste gegen Russland?
Darin spiegeln sich die Ansichten der »Auslandssender«. Sowohl Washington TV als auch Voice of America (VoA), beide auf Persisch, werden von der USA-Regierung finanziert. Diese Medien sehen sich zur Konfrontation mit China und Russland verpflichtet. Russland ist für sie gleichbedeutend mit Stalin und China mit Pol Pot. Und viele Leute glauben das. Sie verhalten sich auch deshalb antirussisch, weil Russland als eines der ersten Länder die Wahl Ahmadinedschads anerkannte und weil es eine iranisch-russische Atomkooperation gibt. Das alles wird von VoA immer wieder zur Sprache gebracht. Man sollte sich aber daran erinnern, welche Gründe die Demonstrationen ursprünglich hatten: Es ging um das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen und die Frage, ob Ahmadinedschad der rechtmäßige Wahlgewinner ist. Und die Iraner haben die Wahlen und dann die Demonstrationen auch dazu benutzt, um ihre Unzufriedenheit mit der Entwicklung in den letzten 30 Jahren auszudrücken.
Zum Beispiel worüber?
Nach der Islamischen Revolution wurden Bevölkerungsgruppen stigmatisiert und unterdrückt. Die erste Gruppe, die vom neuen Regime in dieser Weise angegriffen wurde, waren die Frauen. Als nächste geriet die kritische Studentenbewegung ins Visier des Staates. Dann kam es in den 90er Jahren zu ominösen Mordserien an oppositionellen Journalisten und Schriftstellern. Iran leidet unter Korruption, Inflation, Arbeitslosigkeit und organisierter Kriminalität. Es gab also vielfältige Gründe, gegen die Regierung zu protestieren. Meine Wahrnehmung sagt mir, dass trotzdem eine große Mehrheit für Ahmadinedschad gestimmt hat.
Wer ist denn aus Ihrer Sicht für, wer gegen Ahmadinedschad?
Kurz gesagt: Ich denke, für die »Grünen« haben große Teile der Mittelschicht, vornehmlich in Teheran, gestimmt. Vor allem die Bazaris, die Händler, haben die »Grüne Welle« gestützt: durch Management und Werbung. Für Ahmadinedschad dagegen stimmten vorwiegend die Armen, die untere Mittelschicht und sozial Schwache. Wenn man aus Teheran heraus in die kleineren Städte und die Dörfer fährt, bemerkt man, dass sich dort kaum jemand gegen Ahmadinedschad ausspricht. Im Gegenteil. Viele erinnern sich noch an die jahrelange Präsenz der Amerikaner. Sie haben auch Albträume, von denen bombardiert zu werden, und betrachten angesichts dieses Traumas neuer Bedrohung Ahmadinedschad als Faust gegen die USA.
Was erhofft sich die Mittelschicht von der Opposition?
Ein Beispiel. Ich kenne eine wohlhabende Familie, die jetzt die »Grünen« unterstützt, das sind alte Freunde Ayatollah Chomeinis. Zu dessen Lebzeiten gaben sie ihm die Zakat – die Almosensteuer, eine der Grundpflichten jedes Muslims. Sie sagen heute, sie wollen keine Veränderung im System. Aber sie wollen ihre reichen Kunden aus dem Ausland zurück, die sie im Moment nicht haben.
Und die vielen jungen Leute, die gegen die Regierung demonstrieren?
Viele von ihnen sind arbeitslos und haben keine Perspektive. Im Fernsehen verfolgen sie kaum mehr als Musikprogramme wie MTV. Sie sind deshalb sehr fixiert auf den Westen, den sie vom Bildschirm nur als den goldenen kennen. Anders als die »Revolutionsgeneration« sind sie kaum ideologisch geprägt. In diesem Jahr mussten bereits 250 Buchhandlungen schließen; nicht weil die Regierung sie verbot, sondern weil sie nicht genug Kunden hatten. Leider lesen immer mehr Iraner keine Bücher und kaum Zeitungen.
Vielleicht wollen sie andere Bücher lesen?
Ich denke, das ist nicht der wichtigste Grund. Es ist viel weniger verboten, als hierzulande vermutet wird. Zum Beispiel können Sie in Teheran in Schaufenstern vieler Buchhandlungen auch das Kommunistische Manifest sehen und Bilder von Che Guevara kaufen. Eine junge Frau, die Literatur studiert und mit der ich darüber sprach, fragte mich daraufhin: »Wer ist Che Guevara?« Sie kannte ihn nicht. Damit sind wir beim eigentlichen Problem Irans. Im Fernsehen ist alles religiös. Literatur? Null. Kunst? Null. Kinder und Jugendliche haben kaum anderes gelernt als Religion. Ich habe mit 15 Jahren meinen ersten kritischen Aufsatz geschrieben. Mein Vater und ich wurden daraufhin zur Savak, der Geheimpolizei des Schahs, gerufen. Lediglich durch meinen Vater zu Hause erfuhr ich etwas über Politik, soziale Gleichberechtigung und ähnliches. Aber jetzt gibt es andere Möglichkeiten. Das ist nicht zu vergleichen mit der Schah-Herrschaft bis 1979. Zu jener Zeit, die ich ja noch erlebte, wurden Leute ermordet, wenn man bei ihnen das Manifest entdeckte. Jetzt kann es jeder in Persisch lesen. Und wir haben noch viele andere Übersetzungen marxistischer und sozialistischer Schriften. Die beste Adresse dafür ist die Universitätsstraße in Teheran. Publizistische Einflussnahme aus dem Ausland findet heute vor allem über elektronische Medien statt. Der Hauptgrund für deren Bevorzugung durch die Iraner ist aber die Langweiligkeit der eigenen, iranischen Programme.
Kommen wir noch einmal auf die iranischen Frauen zurück. Sie sagten, sie seien die ersten Leidtragenden der Islamischen Revolution gewesen.
Das stimmt. Trotzdem haben sich die Frauen ein Stück Freiheit zurückerkämpft. Sie haben ihr Kopftuch Zentimeter für Zentimeter »verschoben«. Im Laufe der Jahre ist es so um die 30 Zentimeter »zurückgerutscht«. Und wenn »die Kontrolle« kommt und wirklich den Sitz des Tuches beanstandet, sagen sie einfach: »Oh, es ist gerade verrutscht.« Außerhalb Teherans wird das aber strenger gehandhabt. Das Pochen auf die Einhaltung der religiösen Vorschriften ist heute vor allem ein Instrument, um die Menschen zu disziplinieren und zum Stillhalten zu nötigen.
Es gibt immer wieder Kundgebungen der Opposition, aber inzwischen doch deutlich weniger als im Sommer. Klingt die Protestwelle langsam ab?
Die Konfrontationen werden anhalten, denn die Probleme sind ja nicht gelöst. Und die Leute haben keine Angst mehr, auf die Straße zu gehen. Viele glauben wieder an sich selbst und dass sie etwas ändern können. Dazu wurde eine Idee geboren: Wir wollen grün! Das Problem der Wortführer der »Grünen« – Mir Hussein Mussawi und sein Unterstützer, Expräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani – ist aber, dass sie kein Programm für das Land haben. Die meisten »Grünen« erklären nicht genau, was sie wollen. Ich nenne sie in meinem Kopf Bio-Islamisten, weil ich denke, dass viele ihrer Parolen ein sehr zeitiges Verfallsdatum haben. Und manche nehmen es auch nicht so genau mit ihrem Vorleben. Nehmen Sie zum Beispiel Zahra Rahnavard, die erste Iranerin, die nach 1979 Kanzlerin einer Universität wurde – und Gattin von Mussawi. Hierzulande wird sie dargestellt als »Frau der Revolution«. Doch einst schrieb sie das Buch »Ein Schleier für die muslimische Frau«. Da wird das Problem etwa so
dargestellt: Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein neues Auto. Sicher werden Sie es irgendwo unterstellen, um es zu schonen. Mit der verschleierten Frau verhält es sich sehr ähnlich. Sie sollte sich mit einem Schleier vor schädlicher Umwelt schützen … Und die das geschrieben hat, gilt jetzt als Vorkämpferin für Frauenrechte? Einst hat sie die Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit gefordert. Jetzt kommt sie mit buntem Kopftuch und Strumpfhosen. Besonders CNN hat sie so gezeigt. Beim Interview schob sie ständig ihr Kopftuch nach vorn, weil es so bunt war. Aber ich sage: Kopftuch bleibt Kopftuch – ob bunt oder nicht.
Im politischen Kampf werden die Unterschiede zwischen beiden Lagern hervorgehoben. Gibt es eigentlich auch Positionen, in denen die Kontrahenten Ahmadinedschad und Mussawi übereinstimmen, beispielsweise in der Atomfrage?
Darüber spricht die Opposition nicht. Mussawi hat auf jeden Fall gesagt, wir bräuchten kein Atom. Ich vermute, dass Mussawi als Präsident den Wünschen des Westens nachkommen würde. Derzeit kann man beobachten, dass jeder Iraner, der international mit irgendetwas auffällt, einen Preis bekommt – sofern man vermutet, dass er der Opposition nahesteht. Warum? Wir hatten auch früher sehr gute Künstler, aber das wurde kaum beachtet. Seit zwei Jahren ist das anders. Eine Fotografin zum Beispiel bekam einen Goldenen Bären in Rom. Sie kam in grüner Kleidung. Das macht Kunst verdächtig.
Das wird dann wohl bis zum Ende der Präsidentschaft des Amtsinhabers so sein. Glauben Sie eigentlich, dass er die Wahl manipuliert hat?
In Iran kann alles passieren, so natürlich auch bei den Wahlen. Aber elf Millionen Stimmen kann man nicht manipulieren. Ich vermute aber, dass es ohne Fälschung einen zweiten Wahlgang gegeben hätte. Davor hatten die Hardliner Angst. Eins ist aber sicher: In Iran hat eine soziale Bewegung begonnen, die nicht aufzuhalten ist!
Gespräch: Roland Etzel
Nasrin Parsa
lebt in Frankfurt am Main. Dort hat sie Mediensoziologie studiert, nachdem sie 1985 Iran, das Land ihrer Eltern, verlassen hatte. Das war mitten im Krieg. Saddam Husseins Irak hatte 1980 den Nachbarn Iran überfallen, in der Absicht, sich die südostiranische, mehrheitlich von Arabern bevölkerte Provinz Chusistan einzuverleiben, und in der Hoffnung, dies nach den Wirren der Islamischen Revolution von 1979 und der daraus resultierenden Schwächung Teherans auch ohne nennenswerten Widerstand tun zu können. Der Krieg endete 1988 mit einer Niederlage Iraks. Da war Parsa schon weg. Zum Glück, denn im letzten Kriegsjahr rückten die Invasoren auch kurzzeitig in ihre Heimatstadt Kermanshah ein – und in deren Schlepptau ein Teil der iranischen Exilopposition. Der Kern jener Opposition ist heute kaum schwächer, allerdings viel weiter weg. Auch in Deutschland ist er stark, mehr noch lautstark, vertreten. Er nennt sich Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI), bekannt auch als Volksmudjaheddin, und wird hierzulande als die Exilstimme Irans behandelt. Vor, während und nach der Präsidentschaftswahl in Iran hat der NWRI zahlreiche Demonstrationen, Hungerstreiks, Podiumsdiskussionen und andere öffentlichkeitswirksame Aktionen organisiert. Die Exiliraner in aller Welt haben wirklich wenig unversucht gelassen, um zu verdeutlichen, dass sie das Ergebnis der Wahlen vom 12. Juni in ihrer einstigen Heimat für manipuliert halten; gefälscht vom alten und nunmehr auch neuen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Nasrin Parsa war von Anfang an etwas vorsichtiger, auch was die Behauptungen der iranischen Opposition über Wahlbetrug betraf. Sie wollte es aber genauer wissen und ist deshalb selbst nach Iran gefahren.
Lexikon:
Iraner im Exil
Iranische Zuwanderer hierzulande:
Das sind Schauspielerinnen und Bundesliga-Fußballer, Wissenschaftler und Musikerinnen, Zahnärzte und Journalistinnen – jedenfalls die Prominenteren unter ihnen. Denn es gibt sie auch in allen weniger exklusiven Berufsgruppen. Wie viele Iraner es etwa in Deutschland gibt, einschließlich der Nachfahren in zweiter oder dritter Generation, hat offenbar noch niemand versucht zu ermitteln. Aber das dürfte auch nicht so einfach sein. Allein in Hamburg sollen etwa 25 000 Personen leben, deren Geburtsland Iran heißt. Die Deutsch-Iraner/Iran-Deutschen haben keine so festgefügten »Communities« wie beispielsweise Russen, Türken oder Vietnamesen. Der Grad ihrer Integration in die Gesellschaft ist vergleichsweise hoch. Die wechselnden und stark differierenden iranischen Regimes der letzten 50 Jahre hatten stets wenigstens eine Gemeinsamkeit: die erbarmungslose Verfolgung der politischen Opposition. Darin unterscheidet sich die Islamische Republik wenig von der Schah-Herrschaft, die sie ablöste. Diese Umstände sorgten über Jahr- zehnte für eine starke Abwanderung aus Iran; in Europa vor allem in die Bundesrepublik, aber auch nach Frankreich. Manche mussten das nackte Leben retten, andere wollten studieren, besser oder einfach nur anders leben, als das in der Heimat möglich war. Demzufolge gibt es unter den Zuwanderern ein sehr viel differenzierteres Meinungsbild zu den Geschehnissen in Iran, als es der Tenor der deutschen Medien nahelegt. Allerdings finden sie weniger Resonanz, wenn sie deren Wunsch nach Bestätigung des vorgeformten Bildes nicht im erwünschten Maße gerecht werden.